Systemic & AI-based Information Integration im praktischen Einsatz

Kian Stephan Friedhelm Friedhelm Reydt, Stephan Friese & Kian Soltanmoradi Portfolio Manager / Offering Manager Consulting Services DACH bei Fujitsu | CEO bei atnexxus | Co-CEO bei atnexxus

Warum beim Anlagenbauer W die digitale Transformation in Form von Spreadsheet-Tabellen erfolgte und warum dies keine gute Idee war…

Inhaltsverzeichnis:

    Der vorgestellte Use Case basiert auf realem Bedarf. Der Projektablauf selbst ist fiktiv und orientiert sich lose an bereits durchgeführten Projekten. Mit ihm möchten wir illustrieren, welche Schritte notwendig sind, um komplexe Geschäftsprozesse mit Hilfe von Systemic & AI-based Information Integration zu beschleunigen und wie Informationsvollständigkeit dazu beitragen kann, ausufernde Prozesskosten zu reduzieren. Dazu lernen wir nun einen ganz besonderen Kunden und dessen Umfeld ein wenig näher kennen. 

    Der Anlagenbauer W ist Teil eines internationalen Mischkonzerns und produziert unter anderem Industrieanlagen, die als Investitionsgüter in der Anschaffung sehr hohe Kosten verursachen. Dementsprechend lange werden diese für die Herstellung spezifischer Werkstoffe verwendet. Wir sprechen von einem Nutzungszeitraum von durchschnittlich fünfzehn Jahren.

    Die herkömmliche Variante einer Industrieanlage besteht aus vielen unterschiedlichen Baugruppen, die entsprechend den Anforderungen der Kunden in die gewünschte Anlage integriert werden. Dieses Vorgehen macht jede Anlage zu einem Einzelstück. Ihr Preis liegt in der Regel um die 95 Millionen Euro.

    Bei solchen Summen ist die Erstellung eines validen Kostenvoranschlags für den Hersteller von enormer Wichtigkeit, da sich der Endpreis in der Regel vom Angebotspreis nicht großartig unterscheiden darf. Für eine Manufakturfertigung stellt die Angebotskalkulation ein enormes Risiko dar. Bei W beanspruchte die Kalkulation daher durchschnittlich fünf Monate pro Angebot. Die Verzögerung wurde von den Kunden aufgrund der Marktdominanz sowie des Leistungsspektrums des Herstellers W widerwillig akzeptiert.

    Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei einer Industrieanlage um eine strategische Anschaffung handelt, der in der Regel innerhalb der Kundenorganisation bereits langwierige Entscheidungsprozesse vorausgehen. Die Zeit bis zum produktiven Einsatz musste daher auf Herstellerseite dringend beschleunigt werden. 

    Ziel des Unternehmens war es also, hoch komplexe Angebote automatisch und somit schneller, effizienter sowie mit reduziertem Risiko bereitstellen zu können. Die Automatisierung der Angebotskalkulation in Form eines Kalkulators oder Konfigurators lag auf der Hand. Doch welche Informationen mussten in diesen hineinfließen und wie lange waren diese in der Regel gültig? Und: Was musste wie getan werden, um an diese Informationen heranzukommen?
     

    Das Information Assessment

    Ein Information Assessment betrachtet sämtliche Prozesse unternehmerischer Wertschöpfung, die zur Erfüllung des Informationsbedarfs beitragen können, also fachbereichs- und systemübergreifend und über sämtliche beteiligten Organisationseinheiten hinweg. Da nur vollständige Informationen zum Themenkomplex fundierte unternehmerische Entscheidungen möglich machen, lauten die grundsätzlichen Fragen: Liegen diese wirklich vollständig vor oder vermute ich nur, dass sie vollständig sind? Wer garantiert mir deren Informationswert? 

    Um diese Bedingungen zu gewährleisten, müssen in unserem Beispiel die zur Kalkulation benötigten Prozesse, deren Stakeholder sowie die zum Start jedes Prozessschritts benötigten Informationen (Input) des Kunden analysiert, verstanden und deren Nutzen transparent dargestellt werden. Das Gleiche gilt für die während des Prozessschritts entstandenen Informationen (Output) sowie deren Auswirkungen auf den ursprünglichen Informationsgehalt des Inputs (Rückkopplung). 

    Gekoppelte und insbesondere entkoppelte Informationsströme der Prozesskette, im Sinne von fehlenden Schnittstellen (Medienbrüchen) sollten damit transparent werden. 
     

    Eine mangelhafte Informationsbasis führt zu gleichermaßen mangelhaften Ergebnissen sowie schlechten Entscheidungen

    Bringt man zudem das gelebte Datenmanagement des Kunden und insbesondere die in den betreffenden Fachabteilungen oftmals vorzufindende, meist unzulängliche Datenqualität ins Spiel, so wird deutlich, dass die durch ein Information Assessment gewonnenen Erkenntnisse selbst etablierte Entscheidungsprozesse in Frage stellen können.

    Eines sollte klar sein: Hierbei kann kein Tool helfen. Das später zum Einsatz kommende Werkzeug, die Information Integration Plattform, die sich um die Integration aller identifizierten Informationen kümmert, erfüllt den Kundenbedarf nur mittelbar und ist erst einmal zweitrangig. Sie ermöglicht es später, den jeweiligen Use Case des Kunden kurzfristig, transparent und sicher umzusetzen. Wartungsmaßnahmen und Änderungen sind so zentral durchführbar und haben keinerlei Auswirkungen auf die Datenbanken der Produktivsysteme, die in Interaktion mit der Plattform stehen. 

    Die Beratungsleistung und deren Qualität bestimmt im Kern alle nachfolgenden Projektschritte!

    Zurück zu unserem Fallbeispiel. Nach der Beauftragung eines Information Assessments wurden sämtliche Fachabteilungen des Herstellers W, die an der Kalkulation beteiligt waren, informiert und durch die Geschäftsleitung aufgefordert, die Berater zu unterstützen. Dabei ergaben sich rasch Reibungspunkte zwischen den Data Ownern untereinander sowie bezüglich der möglichen Gesamtlösung. Dies eskalierte zu Projektbeginn, indem der Informationsgehalt des jeweiligen Datensilos durch Vertreter der Nachbarabteilungen angezweifelt wurde. Auch setzten sich die Data Owner über die Anweisungen der Geschäftsleitung hinweg und blieben den Kick-Off Meetings fern, da sie befürchteten, dass ihre Produktivsysteme während und nach Ablauf des Projekts in Mitleidenschaft gezogen würden. Diese Verweigerungshaltung musste dringend aufgelöst werden.

    Hinweis: Grundsätzlich ist festzustellen, dass der Fokus der IT-Abteilung einer Organisation technischer Natur ist. Die organisatorischen Prozesse und ihre dazugehörigen Daten betreffen Fachabteilungen und werden in der Regel als betriebswirtschaftliches Leitungsthema betrachtet. 

    Für den Erfolg des Beratungsprozesses sind Softskills entscheidend!

    Ein erfahrener Projektleiter, der über eine systemische Ausbildung im Change-Management verfügte, übernahm die Rollen eines Mediators sowie eines Konflikt-Coachs. Mit einer individuell auf den Kunden zugeschnittenen Methodik konnte er den Data Ownern innerhalb eines Tagesworkshops verdeutlichen, inwiefern das erstrebte Ergebnis allen Beteiligten zugutekommen würde. Am Ende einte sämtliche Stakeholder die gemeinsame Überzeugung, dass die erstrebte Zeitersparnis zu diversen Prozessoptimierungen und damit zu Entlastungen im Tagesgeschäft führen würde.

    Der Nutzen einer Informationslandkarte ist elementar! 

    Somit konnte mit der Erstellung einer Informationslandkarte zum Prozess Angebotskalkulation begonnen werden. 
    Der bereits im Unternehmen vorhandene Data Catalog der IT-Abteilung war nicht zu verwenden, da er - seinem Zweck entsprechend - die rein technische Sicht auf die vorhandenen Datenbanken, Server etc. ermöglichte. Diesem entgegengesetzt, beinhaltet eine Informationslandkarte sämtliche Informationsattribute sowie Informationsflüsse der für die erstrebte Informationsvollständigkeit notwendigen Unternehmensprozesse. 

    Dabei ist es wichtig, die Inhalte aller für den jeweiligen Prozess notwendigen Informationsquellen (strukturierte und unstrukturierte Daten sowie Kopfwissen) im Unternehmen zu identifizieren und deren Informationen inklusive ihrer situativen Einordung und Abhängigkeiten (Data Interdependencies) im Prozess zu dokumentieren. Zur Vervollständigung der Informationslandkarte sind meist mehrere Iterationen notwendig, da im Dialog mit unterschiedlichen Stakeholdern weitere Informationsquellen und damit bislang nicht berücksichtigte Stakeholder identifiziert werden können.

    Die Informationslandkarte dokumentiert am Ende eines erfolgreichen Information Assessments die fachliche Sicht auf sämtliche lösungsrelevanten digitalen und manuellen Wertschöpfungsprozesse sowie auf die formellen und informellen Informationsflüsse. Darüber hinaus liefert die Landkarte eine kommentierte Übersicht zu Objekten, Attributen und Metainformationen, die dafür geeignet sind, den gewünschten Informationsbedarf zu befriedigen.

    Wo sind die Informationen zu finden, die in die Angebotskalkulation der Industrieanlage einfließen müssen?

    Die Informationen aus den am Angebotsprozess beteiligten Fachabteilungen entstammten digitalen Systemen jeden Alters, die vernetzt oder unvernetzt zur Analyse bereitstanden. Während des Assessments wurden im Projektverlaufs weitere Informationsquellen identifiziert, während bislang genutzte Quellen aufgrund mangelnder Datenqualität aus dem Angebotsprozess entfernt wurden. Dabei handelte es sich sowohl um strukturierte (d.h. aus den Attributen einer beliebigen Datenbanktabelle) als auch um unstrukturierte Daten (d.h. aus Dokumenten bzw. Dateien jeglichen Formats aus der Konstruktion, aus dem Lager etc.). 

    Ein großer Teil an relevanten Informationen fand man in Exceltabellen sowie in den „Köpfen“ einzelner Mitarbeiter. Dieses Kopfwissen war über Jahre durch Medienbrüche innerhalb der digitalen Systemwelt entstanden und nirgends dokumentiert worden. Auch gab es diverse unvernetzte Rechner in der Produktion und im Lager, die noch unter MS-DOS liefen und trotzdem über kalkulationsrelevante Informationen verfügten.

    Zudem mussten interne Kürzel und Fachtermini aufgeschlüsselt und dokumentiert werden. Was beispielsweise in einem System „DIN-Norm“ genannt wurde, wurde in einem anderen, produktionsnahen als „Norm“ bezeichnet.

    Innerhalb eines Monats entstand eine Informationslandkarte, die Folgendes verdeutlichte: 

    A)    Aufgrund von Inkonsistenzen - bedingt durch die mehrfache Erfassung gleicher Informationen mit unterschiedlichen Zeitstempeln innerhalb der beteiligten Fachabteilungen - verursachte die manuelle Nacharbeit beim Zusammentragen der zur Kalkulation benötigten Daten den größten zeitlichen Aufwand.
    B)    Transparent wurde des Weiteren, dass sich bislang in jede Kalkulation aufgrund obengenannter Defizite Fehler zu Ungunsten des Herstellers eingeschlichen hatten. 
    C)    Auch existierten Baugruppen, die von ihrer Funktion her weitgehend identisch waren und somit doppelte Kosten in Verwaltung und Logistik verursachten.

    Auf diese Weise wurden in der Assessmentphase bislang unbekannte Einsparmöglichkeiten identifiziert, die dem Kunden den Mangel an Informationsqualität drastisch vor Augen führten. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Projekt für den Kunden finanziell amortisiert. Doch nun mussten die relevanten Informationen zusammengeführt und dem Konfigurator/Kalkulator zur Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt werden. 

    Das Prinzip einer Information Integration Plattform

    Die Information Integration Plattform dient in unserem Beispiel als Motor, der den gewünschten Kalkulator bzw. Konfigurator mit vollständigen Informationen versorgt und für den reibungslosen Ablauf des Information Interlocking (englisch für Stellwerk, Verzahnung) sorgt. Die Verwendung einer Information Integration Plattform macht Investitionen in übergeordnete Systeme, die einen erweiterten Informationsbedarf bedienen können, unnötig. Etablierte Applikationen können daher weiterhin in den Fachbereichen genutzt werden. Selbst neue Anwendungsszenarien bzw. Informationsbedarfe sind mit einer Information Integration Plattform kurzfristig realisierbar.

    Hinweis: Bewertungskriterien zur Auswahl einer geeigneten Plattform lassen sich grob aus den zehn Stufen der Information Integration ableiten. Diese wurden bereits in folgendem Artikel vorgestellt.

    Einige Lösungen, wie z.B. Sherlock der Fischer Information Technology AG, erfüllen die vorgestellten technologischen Kriterien bereits in Gänze. Wie in Stufe 8 der Information Integration definiert, präferieren wir grundsätzlich Systeme, die eine zentrale Datenbasis (Repository) ermöglichen. Das Warum sollte durch den dargestellten Projektablauf in diesen Artikel deutlich werden.

    Sherlock kennenlernen

     

    Um die gewünschte zeitliche Verkürzung des Kalkulationsprozesses herbeizuführen, konnte nun, nach erfolgreicher Identifizierung sämtlicher Informationsquellen, die Planung der technischen Maßnahmen zur Information Integration erfolgen. Bei der Auswahl der geeigneten Plattform kam ein Toolbenchmark mit standardisierten Kriterien zum Einsatz. Dieser umfasst die u.a. Bewertung der vorhandenen Funktionen, der Betriebsmodelle, des Implementierungsaufwands sowie eine wirtschaftliche Betrachtung des Herstellers.

    Nach der Auswahl erfolgte die Planung der Betriebsabläufe und der Konfiguration der Information Integration Plattform. Die Inbetriebnahme begann mit der Verknüpfung der erforderlichen Informationen zu den vom Konfigurator/Kalkulator benötigten Informationssets. 

    Dazu wurden die identifizierten Informationen aus den beteiligten Fachabteilungen über eine Konvertierungsschnittstelle automatisch in das Format der ausgewählten Information Integration Plattform übernommen. Dies erfolgte über einen zeitlich terminierten Trigger (Push-Prinzip) in Abstimmung mit den jeweiligen Data Ownern. 

    Die Integration unstrukturierter Daten fand KI-basiert statt. Dabei werden Dokumente in ihre Elemente zerlegt und ihrem jeweiligen Kontext, d.h. dem spezifischen Attribut einer Datenbanktabelle zugeordnet. 

    Auch wurden unterschiedliche Attribute gleicher Bedeutung automatisch standardisiert, z.B. wurden DIN-Norm und Norm zu DIN oder manuell mit Metadaten versehen, um logische Zusammenhänge zu verdeutlichen und um neue Verknüpfungen zu ermöglichen. Des Weiteren legten die Berater erweiterte mathematische und logische Regelwerke sowie Konvertierungstabellen innerhalb der Plattform an. Die Integration eines Übersetzungsdienstes ermöglichte ferner die automatisierte Übersetzung definierter Informationen in unterschiedliche Landessprachen. 

    Nebenbei entstanden aus vormals unabhängigen Informationen neue Informationen. Dazu ein einfaches Beispiel: System A liefert die Länge, System B die Breite. Der Flächeninhalt = Länge * Breite ergibt sich erstmals durch Information Integration. Die Information Flächeninhalt entsteht aufgrund automatisierter Informationsgenerierung. 

    Einzeldaten können somit aus der eingeschränkten Fachabteilungssicht entkoppelt und zur erweiterten Informationsgewinnung zusammengeführt werden.

    Der Anlagenbauer W erreichte innerhalb weniger Wochen der Implementierung, der Konfiguration und des Testings die angestrebte Informationsvollständigkeit. Sämtliche für die Kalkulation relevanten Informationen standen tagesaktuell als Informationssets über eine Schnittstelle zur Verfügung. Jede Änderung in den Datenquellen aktualisierte den Inhalt des jeweiligen Informationssets spätestens nach zwölf Stunden.

    Die Ausgabe der Sets erfolgte über eine Weboberfläche, die den vom Kunden gewünschten Konfigurator abbildete. Da die Verarbeitung sämtlicher Informationen durch die Information Integration Plattform erfolgt, benötigte das Webfrontend wenig Intelligenz. 

    Die logische Verknüpfung der Informationssets findet ausschließlich auf der Information Integration Plattform statt – was die Wartbarkeit und Flexibilität des Contents und des Frontends erheblich vereinfacht. 

    Somit konnte sich die initiale Entwicklung auf die Usability der Benutzerschnittstelle konzentrieren.
     
    Am Ende des Projekts konnte die Angebotszeit des Herstellers W auf einen Tag verkürzt werden. Die Projektdauer für diesen auf realen Projekten basierenden Use Case liegt bei durchschnittlich vier Monaten. Erfahrungsgemäß animiert die dargestellte Vorgehensweise den Kunden nach einem ersten erfolgreichen Projekt dazu, unterschiedlichen internen oder externen Zielgruppen eine vollständige Informationssicht ermöglichen zu wollen. Sei es, um weitere Entscheidungsprozesse zu verbessern oder die Time-to-Market zu beschleunigen.